Hinterher ist man immer schlauer

Drei Tagesziele habe ich mir gesetzt. Keines werde ich erreichen. Gross ist die Enttäuschung, gross ist auch das Lern­potential.

Die Herausforderung
Dieses Jahr habe ich mir zum Ziel gesetzt, die Damenwertung im internationalen XContest zu gewinnen. Nach meinem Flug Anfang Mai liege ich satt in Führung. Mit dieser Punktzahl hätte ich in den vergangenen beiden Jahren bereits gewonnen. Doch ganz so einfach wird es nicht. Auch andere Pilotinnen haben sich hohe Ziele gesetzt, allen voran Nicole Fedele aus Italien. Im Juli hat das Blatt gekehrt, ich habe über 100 Punkte Rückstand auf Nicole.

Auftakt
Um 17:30 am Dienstag erscheint der erste Regtherm für Mittwoch. Die Daten sehen gut aus. Mein Entscheid fällt: ich nehme einen Tag thermikfrei. Um viertel nach sieben am Abend verlasse ich das Büro, flitze nach hause, packe meine Sieben­sachen, und spurte aufs Tram. Um kurz nach acht sitze ich im Zug nach Fiesch.

Die drei Tagesziele
Wenn ich die Führung mit einem einzigen Flug übernehmen will, muss ich mindestens ein 155 km FAI-Dreieck fliegen. Das scheint mir realistisch für die vorhergesagte Wetterlage. Ich setze mir drei Teilziele:

  • Der zweite, westliche Wendepunkt soll jenseits der TMA Sion 2 liegen.
  • Das dritte Wendepunkt soll so weit im Saaser Tal liegen, dass der Flug als FAI Dreieck gewertet wird.
  • Die Gesamtstrecke soll 155 km oder mehr sein.

Die Durchführung
Der Tag beginnt planmässig. Im Goms läuft es gut, und schon bald bin ich vom Siedelhorn wieder zurück in Fiesch. Am Eggis­horn kann ich Basis machen und auf einer so guten Linie zur Riederfurka gleiten, dass ich dort immer noch an der Basis bin, sofern man das an einem blauthermischen Tag zuverlässig beurteilen kann.

Bei Leukerbad komme ich langsam in ein Gebiet, das ich noch nie allein, d.h. ausserhalb eines Wettkampflaufes, erflogen habe. Auf der Hinfahrt habe ich die Segelflugkarte genau studiert und mir überlegt, wie ich die TMAs von Sion um- bzw. unterfliegen kann.

Vor der Querung des Lötschentals verlasse ich den Schlauch bei 3020 m. Es ginge noch deutlich höher. Meine beiden Begleiter, Paul Tomassi und ein Niviuk-Pilot, drehen weiter auf und folgen der Krete Richtung Norden. Ich weiss nicht, welche Pläne die beiden habe, und unsere Wege trennen sich. Bei der nun fol­gen­den Querung will ich unbedingt unter 3050 m bleiben. (Die 300 m AGL, die in der TMA Sion zulässig sind, sind bei einem steil ab­fallen­den Gelände wie hier schnell erreicht.) Kaum von der Kante abgeflogen, gerate ich in eine steigende Luftmasse. Das GPS zeigt ruckzuck 3065 m an. Zum Glück bin ich noch nah am Gelände. Dann hört das Steigen auf. Selten habe ich mich so sehr über sinkende Luftmassen gefreut.

Westlicher Wendepunkt
Wo anhängen nach der Querung? Und bloss nicht zu viel steigen! Und dann unbedingt nach Norden orientieren, damit ich nicht in die TMA 2 einfliege. Die hat nur noch eine Untergrenze von 1850 m, da ist an ein Unterfliegen nicht zu denken. Als ich nach der Querung nicht sofort Thermik finde, holt mich meine Unsicher­hei­ten ein. Ich suche nicht lang, sondern kehre um.

Es läuft weiterhin flüssig, und um kurz vor drei kann ich bereits die Querung zum Gebidum, dem Berg am Eingang des Saaser Tals in Angriff nehmen.

Südlicher Wendepunkt
Ich fliege den westlich orientierten Kessel beim Gebidum an. Tatsächlich spüre ich auch ein Wabern der Luft, als ich an die vermutete Thermikstelle komme. Das Vario beginnt heftig zu piepen, ich drehe ein. Um nach eineinhalb Umdrehungen wieder ohne Steigen dahinzufliegen. Das Spiel wiederholt sich einige Male. Warmluftblasen schiessen um mich herum empor und reissen meinen Schirm kurz aber heftig hoch. Nach zehn Minuten bin ich kein bisschen höher als bei meiner Ankunft. Ich verlasse dieses wenig erholsame Sprudelbad Richtung Haupttal. Vorn am Gebidum kann ich dann langsam aufdrehen, aber die Höhe reicht nach meinem Ermessen nicht, um sicher ins Saaser Tal zu fliegen. Ich trete den Heimweg nach Fiesch an.

Nach nur sechs Stunden Flug bin ich wieder in Fiesch, um vier Uhr lande ich. 113 statt 155 km, ein flaches, nicht ein gleich­schenkliges Dreieck. An diesem Tag hätte man wohl noch drei Stunden länger fliegen können. Ich bin deutlich unter meinen Möglichkeiten geblieben.

Die Lehren
Meine Wendepunkte waren zu wenig konkret definiert. Beim nächsten Versuch werde ich mir mit vorgegebenen Weg­punkten klare Ziele setzen. Dass ich nicht ins Saaser Tal kam, hat einen einzigen Grund: ich war zu früh dran. Einige Piloten sind an diesem Tag dort hineingeflogen, der früheste eine halbe Stunde, nachdem ich aufgegeben hatte. Für den nächsten Dreiecks­versuch bereite ich einen kleinen Zeitplan vor, damit ich weiss, wann ich wo sein will. Und ganz sicher nicht vor vier Uhr im Saaser Tal.

PS: Drei Tage später starte ich einen neuen Versuch. Dieses Mal gelingt es schon besser. Nur der Südwind verhindert, dass ich das Dreieck schliessen kann.

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