Indienreise, Sieben erobern Manali

Der Gipfel im Wolkenschatten ist etwa 4500 m hoch

Der Gipfel im Wolkenschatten ist etwa 4500 m hoch

Vor dem Start: Nityanando, Philippe, Gilles

Vor dem Start: Nityanando, Philippe, Gilles

Mondlandschaft auf der 46 km Strecke von Billing nach Manali

Mondlandschaft auf der 46 km Strecke von Billing nach Manali

Die Basis ist heute hoch, in den wenigen Wölkchen über den hohen Gipfeln ist eine Westwindtendenz erkennbar. Die Ablösungen kommen stetig und oft, noch ist kein Thermikdummy in der Luft. Ich mag nicht länger warten, und gehe als erste raus. Mit Leichtigkeit kann ich schon am Startplatz gute Höhe machen. Für heute habe ich mir vorgenommen, einen Weg in die höheren Berge zu finden. Von Andy habe ich mir vor ein paar Tagen erklären lassen, wie man das am besten anstellt.
Ich überlege gerade, ob ich das erste Tal hinter unserem Startplatz queren soll – es ist wirklich eine Überlegung wert, denn hier gibt es kaum noch Landemöglichkeiten, und die Windsysteme sind mir nicht vertraut – als ich sehe, wie Philippe und Nicolas aus Verbier das Tal bereits an einer weniger hohen und breiteren Stelle überwinden. Es sieht ganz so aus, als ob sie nach Manali fliegen wollten. – Wenige Sekunden später habe ich ein neues Tagesziel: Manali!

Die Landschaft unter mir ist unwirtlich. Erstmals fliege ich oberhalb der Baumgrenze. Ich kann gut verfolgen, wie die beiden vor mir an den erwarteten Stellen Thermik finden und die Verluste aus den Querungen wieder wett machen. Die Thermik ist stark und gut zu fliegen. Das mulmige Gefühl im Bauch verschwindet. Mein Vario zeigt bereits 4500 m an. So hoch bin ich mit dem Gleitschirm noch nie geflogen. Etwa auf halber Strecke liegt der höchste Gipfel dieser Route. Ich überhöhe ihn, und als ich kurz unterhalb der Basis weiterfliege, zeigt das Vario den Spitzenwert des Tages: 4820 m. Der Blick öffnet sich auf die schneebedeckten Kuppen im Nordosten.

Nach zwei Stunden kann ich abschätzen, dass ich das Kullu-Tal, in dem Manali liegt, erreichen werde, denn vor mir gibt keine grösseren Berge mehr. Ich geniesse jede Sekunde dieses aussergewöhnlichen Fluges. Die Landschaft, die sich vor mir öffnet, ist von atemberaubender Schönheit. Einmal mehr realisiere ich, wie sehr ich die fraktale Geometrie dieser Berge hier lieben gelernt habe. Fast jeder Gipfel geht zum Tal hin in mehrere Rücken über, die sich wie ein Flussdelta ihrerseits weiterverzweigen. Je tiefer man fliegt, desto mehr Rücken sind zu überqueren. An den Verzweigungen findet man mit schöner Regelmässigkeit Kessel, aus denen die warme Luft des Flachlandes aufsteigt.

Als ich die letzte Talquerung hinter mir habe, sehe ich, dass Philippe topgelandet ist. Dazu habe ich heute nicht den Mut. Aus Spass an der Freude soare ich einen Hang hoch – von 3000 m auf 3700 m – und suche mir dann ein schönes Plätzchen zum Landen aus. Kaum habe ich mich entschieden, saust ein roter Schirm mit angelegten Ohren an mir vorbei. Der Pilot – es ist Chicco, wie ich nach der Landung feststelle – scheint recht genau zu wissen, wohin er will, und so schliesse ich mich ihm an und folge ihm zu einem anderen Landeort.

Nach mir landet noch Olivier am selben Ort. Wir beglückwünschen uns zu unseren Flügen. Olivier erzählt, dass ein junger (und anscheinend unerfahrener) Adler im Spiel mit seinem Schirm frontal in dessen Leinen geflogen ist. Ein grosser Klapper ist die Folge. Der Vogel kann sich über die D-Ebene wieder aus den Leinen befreien und hält nun mehr Abstand. – Philippe und Nicolas haben wir aus den Augen verloren. Als wir zusammenpacken, queren über uns Andy und Gilles das Kullu-Tal und lassen sich mit dem Wind talaufwärts schieben.

Wir fahren mit einer motorisierten, dreirädrigen Taxirikscha ins Zentrum von Manali. Nach einem feinen Essen verabschiedet sich Chicco, er will einige Tage in Manali bleiben. Olivier und ich bummeln bis zur Abfahrt des Buses nach Dharamsala durch die Stadt und treffen Zavo, der vor zwei Tagen mit dem Bus nach Manali gefahren ist. Um sechs Uhr am Abend fährt der Bus ab. Um halb eins steigen wir an der Kreuzung nach Bir aus dem Bus. Der Taxifahrer, den wir aus dem Schlaf reissen, will 60 Rupies für die Fahrt. Nicht viel Geld, aber ein viel zu hoher Preis. Wir gehen die letzten drei Kilometer in der Nacht unter sternenklarem Himmel – der Orion strahlt besondert schön – nach hause.

***
Einen ganz lieben Gruss an Rico und Räto! Ihr habt wirklich was verpasst. Fliegen im, nicht nur am Himalaya. Doch die anwesenden Romands haben der Gleitschirmnation Schweiz alle Ehre eingelegt: von den sieben Manali-Piloten sind immerhin vier „echte“ Schweizer, und ich bin eine „unechte“.