Mein Bruder, der Albatros

„Albatrosse sind bekannt dafür, dass sie zwar sehr gute Flieger sind, jedoch grosse Probleme mit Start und Landung haben,“ steht in der Wikipedia.

In Mexiko war die Welt noch in Ordnung. Ein ideal geneigter Starthang und konstanter thermischer Aufwind bescherten mir 18 Bilderbuchstarts. Noch nie hatte ich an einem Wettkampf weniger Schwierigkeiten mit dem Starten. Das erste Albatros-Erlebnis stellte sich vor zwei Wochen am Niederbauen ein. Ein wunderschöner Startplatz, mit freundlich geneigtem Hang, einem leisen Lüftchen und halbwegs trittfestem Schnee für die ersten paar Meter. Ein Pilot nach dem anderen startet problemlos. Auftritt voller Optimismus: die Dritte der Weltmeisterschaft. Kaum sind Schirm und Pilotin parat, dreht der Wind.

…gehören Albatrosse zu den schwersten flugfähigen Vögeln überhaupt…
Kein Problem, wechseln wir halt zur anderen Seite, denke ich so bei mir. Nach zwei Stunden erfolglosem Rumprobieren sehe ich das dann nicht mehr so. Der Schirm ist dank seiner vielen Versteifungen schwer. Rückwärts aufgezogen reicht der Impuls nicht aus, um den Schirm zum Steigen zu bringen. Und wenn doch, dann stolpere ich spätestens beim dritten Schritt über meinen Beinsack.

…erst nach einem langen Startlauf hebt das große Tier ab…
Vorwärts klappt’s auch nicht. Meist schleppe ich den Schirm nur bodennah hinter mir her. Und wenn er steigt, steigt er schräg, und ich spüre ihn viel zu spät um ihn zu unterlaufen, was durch den schweren Schnee sowieso schon stark gebremst wird. Natürlich gibt es genügend Tipps von den Anwesenden, alles gratis. Neuankömmlinge sind mir in der Regel eine Weile beim Schirmauslegen behilflich, bis sie dann nach dem xten Startabbruch genug haben, selber auslegen und einfach fliegen gehen. Neid erfüllt mich. Und peinlich ist mir das. Die Sonne steht tief, ich erkundige mich nach der letzten Bahn. Ein Versuch bleibt mir noch. Zwei Starthelfer lupfen meinen Schirm an, ich renne wieder mal mit aller Kraft nach vorn…

…mit sehr langen und schmalen Flügeln…
Mit einem gestreckten Profil fliegt es sich bekanntlich sehr gut. Die Luft trägt nur knapp. Nach einer Viertelstunde zähen Kratzens kommt uns die nahende Störung zur Hilfe und hebt die Luftmassen sanft an. Landen gehe ich nur, weil mir kalt ist, und mein Schatz schon lange da unten auf mich wartet.

Schwarzbrauenalbatros (Thalassarche melanophris)

Szenenwechsel. Erstes Ligafliegen in Crans Montana. Der Startplatz: Bella Lui. Der Wind: sehr schwach, Tendenz nachlassend. Die Aufgabe: 76 km, zunächst talaufwärts nach Nessel am Fusse des Aletschgletschers, dann zurück nach Crans Montana. Das Startzeitfenster ist offen, ein Ligapilot nach dem anderen startet. So ganz einfach ist es bei keinem. Doch zur Startzeit sind alle längst in der Luft. Nur Albatros‘ Schwester übt noch. Martin ist mir geduldig eine Dreiviertelstunde lang behilflich, den Schirm an verschiedensten Orten auszulegen, wenn ich mich nach einem weiteren Startabbruch den Steilhang im weichen Schnee hochgearbeitet habe. Dann hat er genug, legt seinen Schirm aus, und geht fliegen.

…durch die Bewegungen ihrer riesigen Flügel schnell verausgabt…
Zum Glück gibt es auch an diesem Start wieder Starthelfer mit einem weichen Herz. Wenige Minuten, bevor das Startfenster schliesst, lupfen sie meinen Schirm an, ein leises Lüftchen kommt von vorn, ich seckle mit ganzer Kraft nach vorn in die Leinen und… hebe ab. Das Feld ist schon seit einer Stunde unterwegs, als ich in den Startzylinder einfliege. Bin richtig schön allein unterwegs. Leider auch nassgeschwitzt. Was vorher warm war, wird jetzt kalt. Die Hände sind gefühllos, die Zähne klappern. Die ersten Piloten kommen mir entgegen. Sie haben rund 30 km Vorsprung. Fürs Resultat fliege ich hier heute wirklich nicht mehr.

…sehr große Strecken zurücklegen…
Was für ein Flug! So einfach… ich fliege geradeaus, dann kommt eine starke Thermik, die drehe ich bis knapp unter die Basis auf rund 3300 m aus. Im Vorflug unter der Wolke gebe ich viel Gas, damit ich nicht im weissen Raum verschwinde, denn es wimmelt nur so von Segelfliegern. Und wieder von vorn: geradeausfliegen, eindrehen, steigen, … Die Thermiken sind wohlorganisiert, stehen zuverlässig an den erwarteten Stellen. Wirklich ein Kinderspiel. Mit einem Schnitt von mehr als 30 km/h fliege ich die Aufgabe ohne weitere Verzögerung zu Ende.

…bei der langen Gleitlandung können sich die Vögel auch überschlagen…
Ganz so schlimm kommt es dann zwar nicht. Ich bleibe beim Landen knietief im Schnee stecken, während mein Schirm noch ein wenig weiterfliegt. Aber eigentlich ist das nach einem so genialen Flug ganz egal.

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