schwimmen – die vollkommenste atemregelung

was hat schwimmen mit pranayama, der yogischen atemregelung, zu tun?

seit ein paar wochen zieht es mich alle zwei tage ins paradies, nämlich ins freibad mit seiner 50 m bahn. dort schwimme ich wie ein traktörli auf dem feld, pflüge hin und zurück, und wieder hin und zurück, und nochmals hin und zurück… mir bereitet diese rhythmische, gleichförmige bewegung im pool allergrösste freude, was allerdings nur wenige menschen in meinem umfeld nachvollziehen können.

doch für mich ist es so: die äussere welt mit ihren vielfältigen reizen entrückt weitgehend, während ich gleichzeitig die strömungsbewegung des vorbeifliessenden wassers intensiv am ganzen körper wahrnehme. diese kombination aus reizentzug auf den üblichen sinneskanälen und reizüberflutung auf der hautoberfläche versetzt mich schon nach wenigen bahnen in einen meditativen zustand. hinzu kommt noch das mantraartige zählen der armzüge im atemrhythmus: auf eins einatmen, zwei, drei, vier, ausatmen auf fünf, und wieder von vorn, ein(s), zwei, drei, vier, aus…

doch den stärksten effekt hat vermutlich das rhythmische atmen selbst. im yoga ist die wirkung der atemkontrolle seit jahrhunderten bekannt, und alle yogischen traditionen kultivieren darum atemübungen: pranayama. „prana“ ist ein sanskrit-wort, das man sowohl mit „atem“ als auch mit „lebensenergie“ übersetzen kann. auf der stofflichen ebene wissen wir alle aus der schule, wie wichtig die zufuhr von sauerstoff und die abfuhr von kohlendioxid für unseren organismus ist. ist dieser stoffwechselvorgang unterbrochen, weicht das leben in allerkürzester zeit aus dem körper.

doch was ist mit dem energieaspekt? nun, auch hier gibt es mittlerweile erkenntnisse, die yogisches traditionswissen mit moderner westlichen wissenschaft belegen. aus der medizinischen forschung wissen wir, dass dem atem eine brückenfunktion zwischen den vorgängen im bewussten und unbewussten nervensystem zukommt. so ist der atem der einzige vorgang im menschlichen körper, der völlig autonom geschehen kann, aber auch bewusst und willentlichen kontrolliert ausgeführt werden kann. da der atem mit weiteren, autonom ablaufenden funktionen im körper gekoppelt ist, regulieren wir also viel mehr als nur den atem selbst, wenn wir pranayama üben. beispiel herzschlag: wenn wir mit absicht unseren atem verlangsamen und vertiefen, nimmt auch die frequenz des herzschlags ab. was der volksmund im übrigen schon lange erkannt hat, denn nicht von ungefähr kommt die redewendung „drei mal tief durchatmen“. atemkontrolle ist also auch in unserem kulturkreis bekannt, und ihre eignung als mittel zur stressreduktion längst nachgewiesen.

zurück zum schwimmen oder dem „pranayama im wasser“. in seinem wunderbaren buch „sport und yoga“ widmet der indische arzt und grosse yogi selvarajan yesudian (1916 – 1998) dem schwimmen ein eigenes kapitel, „schwimmen – die vollkommenste atemregelung“ betitelt. einige auszüge:

„ich weiss aus erfahrung, dass die meisten willensschwachen menschen, die pranayama üben, mit den atmungsübungen rasche erfolge erzielen wollen, und nicht die geduld aufbringen, wenigstens zwei monate hindurch fleissig zu üben. […] einer der fehler des europäischen anfängers ist, dass er, nachdem ihm die starke überzeugung abgeht, die übungen vernachlässigt, weil das angestrengte atmen seine lunge in den ersten tagen tatsächlich ermüdet, oder er wird ihrer überdrüssig, weil sie zu lange dauern. auch sonst ist ein starker wille erforderlich, damit der mensch nicht in das gewohnte kurzatmen zurückfällt. die bedeutung des schwimmens habe ich also aus dem grunde so stark betont, weil sie die einzige urbewegung des körpers ist, die jeden menschen zur regelung des atmens zwingt.“

„diese methode [yogisches schwimmen] empfehle ich jedem, der schwimmen kann und nicht willensstark genug ist, um regelmässige atmungsübungen durchzuführen. nach ein, zwei monaten täglichen schwimmens nach den yoga-vorschriften wird der körper von einem wunderbaren wohlbehagen durchströmt, der mensch fühlt sich stets frisch und gesund, seine arbeitsfreudigkeit nimmt zu, und „versäumt“ er das schwimmen drei, vier tage lang, so verlangt seine lunge ebenso nach den gewohnten übungen wie der raucher nach seiner zigarette.“

„die allerälteste und auch heute noch modernste form des schwimmens ist der kraul, den der hawaiische fürst kahanamoku zu beginn dieses jahrhunderts dem westen bekanntmachte. das kraulschwimmen ist ausdrücklich mit der yogi-atmungsweise verbunden. kräftige, tiefe einatmung, vier tempi kumbhaka (atempause) unter dem wasser, danach blasbalgartige ausstossung der luft durch die nasenlöcher, die noch unter dem wassser begonnen wird…“

yesudian erzählt auch einige anekdotische begebenheiten aus seinem erfahrungsschatz. yogisches schwimmen setzt er sowohl bei schülern mit übergewicht als auch bei untergewichtigen menschen als heilmittel ein. das funktioniert, so seine begründung, weil in beiden fällen der körper durch das kontrollierte atmen von einem zustand der disbalance in einen gesunden, ausgeglichenen zustand zurückgeführt werden kann.

vom schwimmen ohne mit dem kopf unterzutauchen, hält yesudian hingegen wenig. als eine seiner schülerinnen gesteht, dass ihr das untertauchen bisher nicht in den sinn gekommen sei, da „ich um meine dauerwelle besorgt war“, antwortet er ihr ganz direkt: „ja,  leider ist dies eine schlechte gewohnheit der damen.“ die übergewichtige dame vertraut seinem rat, schwimmt fortan täglich nach seinen vorschriften (mit untertauchen des kopfes) und ist nach zwei monaten zehn kilo leichter.

mit drei tipps komme ich zum schluss dieses beitrags:
lies yesudians wunderbares buch „sport und yoga“.
schwimme häufig und regelmässig yogisch.
atme bewusst.

erstveröffentlichung am 17. august 2018 auf der homepage der yogacompany