Fliegen Männer besser?

Edit 200910141315: The English version is available here.

Im Prinzip ja. Bezieht man „besser“ auf die Ergebnisse im XC-Wettkampf, auf messbare Leistungen, so ist offensichtlich, dass wir Frauen den Männern einfach nicht das Wasser reichen können. Ich schreibe das wirklich ungern. Doch die Tatsachen lassen keinen anderen Schluss zu.

Natürlich sind weltweit nur etwa 10% der GleitschirmpilotInnen weiblich. Auch im Wettkampf, den wir gemeinsam mit den Männern bestreiten, liegen die Zahlen in diesem Bereich. Wäre der Anteil der Frauen im Spitzensport (World Cup, FAI-1, …) nicht durch Quoten geschützt, läge er womöglich sogar noch niedriger.

Beispiele
Laufsiege. Wären wir Frauen gleich leistungsstark, müsste eine von uns statistisch gesehen jeden 10. Lauf gewinnen. Tut sie aber nicht! Ich schätze, dass bislang nicht mehr als zehn Laufsiege an einem FAI-1 oder FAI-2 Wettkampf auf das Konto einer Frau gehen.

Weltrangliste. Selbst eine Weltklassepilotin wie Ewa Wisnierska, die in ihrem besten Jahr 2005 die Herren der Schöpfung reihenweise das Fürchten lehrte, schaffte es in der Weltrangliste nie höher hinauf als Platz 19. Finito. Petra Krausovas all time best ist Rang 36. Louise Crandal stiess bis auf Platz 47 vor, ich selbst bis Rang 30. Mehr lag für uns Mädels nie drin.

FAI-Weltrekorde. Es gibt die Kategorien „overall“, „tandem“ und „female“. Das sagt eigentlich schon alles. Und so diskriminierend die Frauenrechtlerin in mir diese Aufteilung findet, so berechtigt ist sie. Keine einzige Frau hält einen Rekord in der Kategorie „overall“.

Online-Contest. Der Gewinner 2008, Rafael Saladini, erzielte 1856.34 Punkte. Der besten Frau, Klaudia Bulgakow, reichten 723.70 Punkte für den Sieg in der Damenkategorie. Overall belegte sie damit Platz 154.

Woran liegt’s?
Fünf Gründe fallen mir ein: wir Frauen sind weniger risikobereit, weniger schwer, weniger kräftig, weniger professionell, und – weniger. Dazu nun im Einzelnen.

Soweit ich mich erinnern kann, gibt es wissenschaftlich fundierte psychologische Untersuchungen, aus denen hervorgeht, dass Frauen allgemein ein anderes Risikoverhalten als Männer zeigen. Im Wettkampfsport geht es nicht nur, aber immer wieder auch um die Frage „wieviel Risiko will ich eingehen?“. Frauen tendieren nachweislich zu weniger Risiko: sie sind vorsichtiger. Die Beurteilung des Risikos ist natürlich nicht nur durch objektive, äussere Umstände beeinflusst, sondern auch durch die Einschätzung der subjektiven, eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Doch auch hier ziehen wir den Kürzeren.

Leicht und schwach
Frauen bringen im statistischen Durchschnitt weniger Gewicht auf die Waage, fliegen deshalb aerodynamisch ungünstigere, weil kleinere Schirme. Hinzu kommt, dass so ein kleiner Schirm nicht nur schlechter fliegt, sondern im Ernstfall auch noch giftiger reagiert. Einen passenden Schirm zu finden, ist für eine Person mit weniger als 50 kg übrigens an sich schon ein sehr schwieriges Unterfangen. Beispiel Boomerang 5: der kleinste Boomerang „XXS“ hat einen Gewichtsbereich von 80-90 kg. Im Wettkampf fliegen wir an den meisten Tagen am oberen Limit oder sogar leicht darüber. Mehr als 40 kg Ballast? Das ist für eine 50 kg schwere Person nicht nur zu viel der Schlepperei, sondern – aus Sicherheitsgründen – sogar illegal, denn das Zuladungslimit liegt i.d.R. bei 33 kg. – Zum Glück bin ich selbst nicht ganz so leicht.

Wie sieht es nun mit der Kraft aus? Das Streckenfliegen ist seiner Natur nach keine Kraftsportart. Technik, Taktik und mentale Fitness sind wichtiger als körperliche Voraussetzungen. Doch wenn es darum geht, über längere Zeit dosiert mit dem Beschleuniger umzugehen, z.B. bei nicht ganz ruhigen Querungen, dann machen ein paar Muskeln mehr oder weniger im Oberschenkel einen grossen, einen entscheidenden Unterschied.

Nachholbedarf
Kommen wir nun zur Professionalität und dem damit verbundenen technischen Können. Alle Männer in der absoluten Weltspitze beherrschen ihr Fluggerät in Extremsituationen. Nicht wenige von ihnen sind professionelle Testpiloten. Für diese Jungs gehören Extremflugmanöver zum täglichen Brot. Andere fliegen Acro zum Spass oder auch im Wettkampf. Diese technischen Fertigkeiten sind ein Riesenplus im Wettkampf: Wer mehr kann, kann auch mehr riskieren, und z.B. in turbulenten Bedingungen oder knapp über Grund trotz der Gefahr von Klappern schneller fliegen. – Wie sieht es hier beim schwachen Geschlecht aus? Fluglehrerin oder Tandempilotin ist unter den Frauen im XC-Weltcup der höchste Grad der Professionalisierung. Erst Recht treten im Amateuerbereich Lücken zu Tage. Mein letztes Sicherheitstraining fand beispielsweise im August 2005 unter dem Boomerang 3 statt. Seitdem scheiterten alle meine Versuche, Extremflugverhalten zu trainieren, mangels geeignetem Wetter an den wettkampffreien Wochenenden. Zu meiner vergleichsweise bescheidenen Airtime pro Jahr siehe Flugstatistik.

Zum letzten Punkt: wir sind weniger. Weniger Frauen bedeutet: weniger Konkurrenz, bedeutet: mit verhältnismässig weniger Leistung kann man, also frau, in der „female“ Kategorie schon vorn sein. Beispiele dafür gab ich eingangs. Mangelnder Wettbewerb verhindert bessere Leistung. Schade eigentlich. Da der 10% Anteil so etwas wie eine Naturkonstante zu sein scheint, glaube ich nicht, dass sich in naher Zukunft hier etwas ändern wird.

Wie verliefe wohl ein Wettkampf exklusiv unter Frauen? Die Deltistinnen, obwohl in absoluten Zahlen eine noch seltenere Spezies als wir Gleitschirmpilotinnen, treten regelmässig alle zwei Jahre zu Frauenweltmeisterschaften an. Was, wenn wir nicht nur zu 99% den schnellen Männern hinterherflögen? Wenn Frauen Führungsarbeit leisteten? Mmmmh, spannend!